Militarismus - die gesellschaftlichen Auswirkungen der Kriegspolitik in Deutschland

Rede zum Weltfriedenstag, 1. September 2024, für das BSW in Halle

 

Am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz eine Rede vor dem Bundestag, die auf traurige Weise Geschichte geschrieben hat. In dieser Rede spricht Scholz von einer „Zeitenwende“: Die Welt sei nicht mehr dieselbe, wie zuvor, eine neue Ära stehe bevor. Bereits in dieser Rede werden die ersten Maßnahmen angekündigt, die Deutschland verändern werden: wirtschaftliche Strafmaßnahmen, die Putin direkt treffen sollen, ein Sondervermögen von unglaublichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, dass vom Grundgesetz abgesichert werden soll, mindestens 2% des Bruttoinlandsproduktes für die NATO, Abkehr vom russischen Gas. Gesprächen mit Russland stehe man aber trotzdem offen gegenüber.

Der Begriff der Zeitenwende bedeutet aber über diese konkreten Maßnahmen hinaus noch etwas anderes. Deutschland und Europa werden auf einen Krieg eingeschworen. Europa und die NATO haben lange versucht, den Anschein aufrecht zu erhalten, Garanten für eine Friedensordnung zu sein. Diesen Anschein haben sie jetzt, nach der Zeitenwende aufgegeben. Es geht schon lange nicht mehr nur um die Frage, ob wir zur Verteidigung der Ukraine Waffen liefern sollten. Die Kriegslogik, der Militarismus, ist in die meisten Bereiche unseres Lebens vorgedrungen. Die Zeitenwende betrifft die gesamte Gesellschaft.

 

Politik der „Zeitenwende“

Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn, wurden von allen Seiten Stimmen laut, die eine Rückkehr zur Wehrpflicht forderten. Plötzlich hängen an Straßenbahnhaltestellen Plakate, die junge Menschen für den Dienst an der Waffe begeistern wollen. Die Bundeswehr veranstaltet Karrieremessen und Tiktok-Kampagnen.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmerman fordert nicht nur immer neue Waffenlieferungen in die Ukraine, sondern auch eine intensive Aufrüstung Deutschland und auch wenn der Wunschetat von Boris Pistorius nicht wahrgeworden ist, ist der Verteidigungshaushalt 2024 noch mal um 1,8 Milliarden gestiegen auf knapp 52 Milliarden Euro gestiegen – nicht mitgerechnet die knapp 20 Milliarden aus dem Sondervermögen.

Deutsche Panzer rollen wieder über russischen Boden - das reicht aber nicht: nun sollen nun auch noch Tomahawk-Marschflugkörper, Flugabwehrsysteme und Überschallwaffen in Deutschland stationiert werden. Von Gesprächen mit Russland ist längst keine Rede mehr.

Die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen haben dem Krieg kein Ende bereitet, sie trafen vor allem uns selbst: Viele Familien, Senioren und Geringverdiener konnten sich zwei Winter lang kaum leisten, die Wohnungen zu heizen, während die Gaspreisbremse vor allem den Konzernen zu Gute kam. Kleine Geschäfte und Unternehmen schließen, weil die Betriebskosten zu hoch geworden sind. Die deutsche Wirtschaft ist seit 2 Jahren in einer Rezension und die Inflation frisst die Gehälter und Renten auf.

Am 7. Oktober letzten Jahres hat uns das Attentat der Hamas erneut erschüttert. Der Schrecken der über tausend ermordeten Israelis wurde bald durch einen anderen Schrecken übertroffen: Netanjahus Regierung nahm das Verbrechen zum Anlass, einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser zu entfesseln, der vor Zivilisten, Kindern, Kranken und selbst internationalen Hilfsorganisationen nicht Halt macht.

Im selben Jahr hat die das Grüne Außenministerium die größte Anzahl an Waffenlieferungen in der Geschichte unseres Landes genehmigt. Annalena Baerbock, die im Wahlkampf noch forderte: „Keine Waffen in Krisengebiete“, unterstützt so das Morden an überwiegend unschuldigen Zivilisten in unserem Namen. Dieselbe Außenministerin hatte im Jahr zuvor bereits vom „Krieg gegen Russland“ gesprochen – ob aus Unfähigkeit oder Absicht: Dieses Außenministerium trägt erheblich zur Eskalation dieser Kriege bei und tut nichts Erkennbares, um eine diplomatische Lösung auch nur anzubahnen.

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Gesellschaftliche Auswirkungen

Wie bereits im Fall des Russischen Angriffs auf die Ukraine, so gab es auch nach dem Attentat der Hamas keine Frage nach Hintergründen und Ursachen. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Die Frage nach Gründen bedeutet keine Rechtfertigung der Geschehnisse! Aber wenn wir nicht nach den Gründen für den Ausbruch der Gewalt fragen dürfen, wie können wir dann langfristige Lösungen finden, die solches Geschehen in der Zukunft verhindern? Weder der Konflikt mit Russland, noch der zwischen Israel und Palästina kann einer Lösung auch nur einen Millimeter näherkommen, wenn wir uns selbst verbieten, über die Hintergründe nachzudenken, die zur Eskalation geführt haben!

Solche Denkverbote sind typisch für eine Gesellschaft, die auf Krieg eingestimmt wird. Sie grassieren in der Politik, im öffentlichen Diskurs, sogar an Schulen und Universitäten.

Unsere Kinder gehen nun in Schulen, in denen nach Ansicht der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Übungen für den Katastrophenfall durchgeführt werden sollen. In Bayern wird die Zivilklausel verboten, die sich viele Universitäten gegeben haben, um sicherzustellen, dass ihre Forschung nicht für militärische Zwecke missbraucht wird. Robert Habeck bezeichnet sich selbst nun inzwischen als „nicht nur Wirtschaftsminister, sondern auch Rüstungsindustrieminister“. Karl Lauterbach möchte das Gesundheitssystem auf Kriegstote vorbereiten.

All das schafft eine Atmosphäre der Angst. In einer Gesellschaft, die auf diese Weise auf den Krieg eingeschworen wird, ist kaum noch Raum für Zwischentöne. Wer Waffenlieferungen nicht unterstützt, wird schnell als Putin-Freund oder Antisemitin verschrien.

Proteste für ein Ende der Bombardierung des Gazastreifens werden gewaltsam aufgelöst, die Befürworter öffentlich beschimpft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die auf das Demonstrationsrecht verweisen und zum Dialog aufrufen, wird vorgeworfen, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und das Bildungsministerium prüft, ob ihnen Fördergelder entzogen werden können. Ergebnisoffene Debatte ist kaum möglich, wo Freund-Feind-Denken die Debatte dominiert.

Die Berichterstattung in den Medien, übrigens auch und besonders in den Öffentlich-Rechtlichen ist dabei derart einseitig, dass sie die Grenze zur Falschdarstellung berührt. Da sterben hunderte Palästinenser, ohne dass ein Täter benannt wird. Die Ukraine ist nach Darstellungen der Medien seit 2 Jahren dabei, diesen Krieg zu gewinnen und Putins Macht bröckelt angeblich, während gleichzeitig russische Truppen immer weiter im Donbass vordringen. Diese völlig verzerrten Darstellungen sollen wir einfach so schlucken und natürlich auch noch mit unseren Steuergeldern bezahlen.

Aber: wer sich angesichts der beobachtbaren Tatsachen gegen eine weitere Eskalation ausspricht, muss von allen Seiten mit Gegenwind rechnen. An einen Sieg der Ukraine glauben freilich nur noch ca. 10% der Deutschen. Das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser halten (trotz aller einseitigen Medienberichte) nur 21% für angemessen. Das interessiert jedoch die Regierung nicht, die weiter gegen die Interessen der Bevölkerung regiert – eine echte Debatte findet nicht statt.

Die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen wurde nicht mal im Bundestag diskutiert. Der Bund dürfe „Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, so an die Nato.“, besagt die lapidare Erklärung.[1] Wir rüsten für einen Krieg zwischen zwei Atommächten, und werden nicht einmal gefragt!

Nehmen wir das einfach so hin? Wollen wir akzeptieren, dass Deutschland zum möglichen Angriffsziel wird, wenn der Krieg eskaliert – eine Entwicklung, an der durch den Einsatz unserer Waffensysteme auf russischem Boden fleißig gearbeitet wird?

 

Die Stimmung im Osten

Die Befürchtungen der Bevölkerung, dass Krieg bis vor unsere Haustür getragen werden könnte, wird dabei geradezu ins Lächerliche gezogen. Insbesondere der Osten sei irrational in seiner Besorgnis, das wurde im Zuge der aktuellen Wahlkämpfe immer wieder vorgebracht. Eine neue Umfrage zeigt: 76% Prozent der Ostdeutschen macht sich Sorgen, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen wird, im Westen sind es immerhin 46%. Ich frage mich nicht, warum der Osten so um den Frieden besorgt ist, ich frage mich: Warum ist es nicht jeder Einzelne in diesem Land?

Die angeblich „wertegeleitete Außenpolitik“ der Bundesregierung wird von der großen Mehrheit, nicht nur im Osten, nicht mitgetragen. Wir stehen hier, um deutlich zu machen: Nicht in unserem Namen! Das Töten muss ein Ende haben – in der Ukraine, in Gaza, im Sudan, in Syrien und überall! Wir wollen eine Regierung, die es versteht, sich mit allem diplomatischen Geschick für die friedliche Lösungen einzusetzen, und nicht aus Ungeschick oder niederen Motiven eine Eskalation befördert. Ich habe mir lieber einmal zu oft Sorgen um den Frieden gemacht, als einmal zu wenig. Ich wünschte, unsere Regierung sähe das auch so.

 

Heute wählen die Menschen in zwei ostdeutschen Bundesländern ihre Landesregierung und das Thema Frieden spielte in diesen Landtagswahlen eine Rolle, wie nie zuvor. Zu Recht: Wenn amerikanische Waffen in Thüringen oder Brandenburg stationiert werden, sind wir hier direkt betroffen. Der Fliegerhorst im brandenburgischen Holzdorf befindet sich keine 5 km von meinem Elternhaus in Jessen entfernt. Das Thema Frieden gehört in den Landtag genauso wie in den Bundestag und ins europäische Parlament. Jeder Bereich unseres Lebens ist davon betroffen. Was auch immer wir für unsere Zukunft wollen, für unsere Gesellschaft, oder für unsere Kinder – ohne Frieden ist alles nichts. Deshalb soll jeder einzelne nicht müde werden, laut und deutlich zu verkünden: nicht in unserem Namen! Wir wollen Frieden!

Dafür stehen wir heute hier.

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Ärger in der Ostkurve: Was Deutschland vom Osten lernen kann

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Mit der historischen Methode zur demokratischen Debatte